[Interpretation] "Der Vorleser" - Episode

Ronja Redfox | 07 Dezember 2012 | / / / |
Hallo ihr Lieben!

Wie ihr wisst, habe ich im Rahmen des Deutschunterrichts den Vorleser gelesen. Und wie es sich so gehört, sollten wir eine Interpretation zu einer Episode aus dem Roman schreiben.


Nun schien es der Fall zu sein, dass ich ein Talent zum Schreiben besitze, das meine Lehrerin mir nicht zutraute. Ich bekam keine Zensur für meine Interpretation und mir wurde Betrug vorgeworfen, da einige meiner Aussagen und Gedanken denen eines Literaturhistorikers nahe kamen und es "unvorstellbar" war, dass ich so etwas allein geschrieben haben könnte.

Ich muss dazu sagen, dass ich zwar geschlagene 3 Stunden am Laptop saß und geschrieben habe, aber ich habe definitiv nicht nach Vorlagen zum Abschreiben gesucht. Das Einzigste, was ich gesucht habe, war der Name des KZs in dem Michael war.

Am nächsten Tag kam meine Deutschlehrerin noch einmal zu mir und entschuldigte sich für den Vorwurf.  Sie sprach mir ihren größten Respekt aus und ich bekam meine 1 dafür.

Der Vorleser – Eine Episodeninterpretation

Der Roman „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink, der früher Rechtswissenschaften studierte und als Richter sowie Verfassungsrichter tätig war, erzählt die Geschichte von einem jungen 15-Jährigen, dessen Leben durch eine Liebschaft für immer geprägt wurde.
In dem Roman geht es um Michael Berg. Er ist eines Tages auf dem Heimweg, als es ihm ziemlich schlecht geht. Er flüchtet in den Innenhof eines Wohnhauses und übergibt sich dort. Eine Frau, Hanna Schmitz, hilft ihm und begleitet ihn auf seinem Heimweg. Ein gutes halbes Jahr ist er krank, er hat Gelbsucht. Als es ihm wieder besser geht, macht er sich auf den Weg zu Hanna Schmitz, um sich bei ihr zu bedanken. Immer wieder besucht er sie und es entfacht sich eine Liebschaft, die einen Sommer lang währt. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Hanna urplötzlich verschwindet. Während seines Studiums sieht Michael Hanna bei einem Gerichtsprozess als Angeklagte wieder. Hanna war Aufseherin in einem KZ bei Krakau. Michael wollte ursprünglich nach Auschwitz ins KZ reisen, doch ein Visum zu bekommen dauert Wochen und so reist er ins Elsaß zum Struthof.
Es ist sein zweiter Besuch im KZ Struthof-Natzweiler. Doch warum fährt er ein zweites Mal dort hin? Was Michael dazu bewegt, noch einmal dort hin zu fahren, werde ich versuchen, in meiner Interpretation aufzuklären.
Es ist Winter, als Michael das KZ besucht. „Ein klarer, kalter Tag“ (vgl. Z. 1f) lässt ein wenig über Michaels Seelenleben durchschimmern. Er ist gefühlskalt und alles in seinem Leben läuft klar strukturiert ab. Für Abschweifungen hat er wenig bis nichts übrig. Doch er ist nicht nur gefühlskalt. Er hat auch eine träumerische, vielleicht verliebte Wesensart in sich. „Hinter Schirmeck war der Wald verschneit, weiß bepuderte Bäume und weiß bedeckter Boden“ (vgl. Z. 2ff) lässt darauf schließen, dass er verträumt ist. Niemand, der in einem KZ zu Besuch ist, würde sich Gedanken darüber machen, wie die Landschaft ringsum aussieht. Ein weiteres Indiz hierfür findet sich in der Passage „das graublau gestrichene Holz […] kontrastierte freundlich mit dem Schnee“ (vgl. Z. 6ff). Michael lässt sich vom Winter und seiner Schönheit blenden und vergisst dabei, was früher dort passiert ist, wie die Menschen dort gequält und schikaniert wurden. Vielleicht oder gewiss auch umgebracht wurden. „Aber der Boden […] ließ unter der glitzernden Schneedecke vom Lager nichts mehr erkennen. Er hätte ein Rodelhang für Kinder sein können, die in den freundlichen Baracken mit den gemütlichen Sprossenfenstern Winterferien machen und gleich zu Kuchen und heißer Schokolade hereingerufen werden“ (vgl. Z. 12ff), stellt ebenfalls dar, dass Michael ein Träumer ist. Es wirkt sehr befremdlich für einen Außenstehenden, zu lesen, dass jemand sich vorstellt, wie Kinder auf dem ehemaligen Gelände eines Konzentrationslagers Winterferien machen. „...ein kleines, einem Restaurant gegenüber gelegenes Haus als Gaskammer ausgewiesen“ (vgl. Z. 40ff) „hätte eine Scheune oder ein Schuppen sein können oder ein Wohngebäude für Dienstboten“ (vgl. Z. 43ff) zeigt ebenfalls, dass Michael sehr gewöhnungsbedürftige Gedanken hat. Es ist doch eher makaber, dass ein als Gaskammer ausgewiesenes Haus gegenüber einem Restaurant liegt und nicht, was das Haus darstellen könnte. Doch Michael zeigt nicht nur seine sanfte Seite. Auch wenn er sehr abstrakte Gedankengänge hat, so bleibt er stets mit einem Bein in der Realität. „...da gab es das maschendrahtverhauene Tor mit dem Schild 'Konzentrationslager Struthof-Natzweiler' und den um das Lager laufenden doppelten Stacheldrahtzaun“ (vgl. Z. 9ff) deutet darauf hin, dass Michael auch die Schattenseiten des Konzentrationslagers wahrnimmt. Das ist ein Beweis dafür, dass er
immer eine klare Strukturierung in seinem Leben braucht, in seinem Fall ist das die „reale Schiene“. Doch Michael ist nicht nur verträumt und gefühlskalt. Er zeigt klare Strukturierungen mit teils akribischen Zügen. Bei seinem ersten Besuch versuchte er fanatisch, sich ein volles Lager mit Häftlingen und Wachmannschaften (vgl. Z. 29ff) vorzustellen. „Ich […] schloß die Augen und reihte Baracke an Baracke. Ich durchmaß eine Baracke, errechnete aus dem Prospekt die Belegung und stellte mir die Enge vor. Ich erfuhr, daß die Stufen zwischen den Baracken zugleich als Appellplatz dienten, und füllte sie beim Blick vom unteren zum oberen Ende des Lagers mit Reihen von Rücken“ (vgl. Z. 31ff) zeigt ganz deutlich, wie akribisch Michael sich versucht vorzustellen, wie ein volles Lager gewesen sein könnte. Jedoch scheiterte sein Versuch „vergeblich und ich hatte das Gefühl kläglichen, beschämenden Versagens“ sodass man das Gefühl bekommt, dass er Angst vorm Versagen hat. Das wiederum lässt darauf schließen, dass er doch ein sehr zerbrechlicher Mensch ist, der einfach nur gefühlskalt geworden ist, um nicht noch einmal verletzt zu werden. Immer wieder denkt Michael bei seinem Besuch im KZ an seinen ersten Besuch dort und fliegt gedanklich in die Vergangenheit. Damals hatte er sich, nachdem das KZ geschlossen hatte, unter ein Denkmal gesetzt und auf das Gelände des Lagers geschaut (vgl. Z. 60ff). „In mir fühlte ich eine große Leere, als hätte ich nach der Anschauung nicht da draußen, sondern in mir gesucht und feststellen müssen, daß in mir nichts zu finden ist“, lässt darauf schließen, dass er noch sehr an Hanna hängt und eigentlich nicht wahrhaben möchte, dass sie so etwas Schreckliches getan haben soll. Er sucht nach einer Antwort auf die Grausamkeiten, die damals passiert sind, er fühlt sich mitschuldig, obwohl ihn eigentlich keine Schuld trifft. „Zuerst scheute ich mich, auf dem Heimweg durch die Dörfer des Elsaß zu mäandern und ein Restaurant fürs Mittagessen zu suchen“, ist wieder eine Andeutung auf die Verträumtheit Michaels, da er mit dem „mäandern“ sagen will, dass die Straßen durch die Dörfer des Elsaß weitläufig wie ein Fluss verlaufen. Und auch heute hat Michael das Thema Hanna nicht so recht überwunden. „...und fand in einem Dorf am Hang der Vogesen das Restaurant 'Au Petit Garçon'.“ (vgl. Z. 55f) Der Name des Restaurants erinnert ihn daran, dass Hanna ihn „Jungchen“ genannt hatte (vgl. Z. 57f). Bei seinem damaligen Besuch hatte er eine Stunde warten müssen, bis ihn ein kleiner offener Lastwagen in das nächste Dorf mitnahm. (vgl. Z. 66ff) „Ich fand ein billiges Zimmer in einem Dorfgasthof und aß in der Gaststube ein dünnes Steak mit Pommes frites und Erbsen.“ (vgl. Z. 69ff) Michael wirkt müde und ausgelaugt, vielleicht sogar demotiviert. Vor allem aber erschöpft von den Eindrücken aus dem KZ, womöglich innerlich völlig leer, weil er keine Antwort gefunden hat.
Meiner Meinung nach ist Michael ein verletzlicher Mensch, dem in jungen Jahren das Herz gebrochen wurde und er es nie überwunden hat, dass seine erste große Liebe ihn sitzen lassen hat. Doch durch den Gerichtsprozess ist ihm klar geworden, warum Hanna so war, wie sie war. Sie war Analphabetin und wollte dies natürlich unter allen Umständen geheim halten. Das war auch der Grund, warum sie damals so plötzlich verschwunden ist. Sie sollte befördert werden und hätte von nun an im Büro arbeiten sollen, doch das war für sie natürlich undenkbar, also musste sie weg. Und um sich auch vor Michael nicht die Blöße zu geben, verschwand sie ohne ein Wort. Das hat Michael zutiefst getroffen. In der Zeit, als er mit Hanna zusammen war, sah er die Welt durch eine rosarote Brille und hätte wohl auch nie zu träumen gewagt, dass diese Beziehung jemals ein Ende nehmen könnte. Doch als Hanna weg war, konnte Michael das Leben nur noch wie betäubt wahrnehmen. Er stumpfte ab, und wurde zu jenem gefühlskalten Menschen, der er nun ist. In späteren Beziehungen suchte er immer Gemeinsamkeiten zu Hanna, doch er fand sie nie, wodurch jegliche Beziehungen scheiterten. Erst nach Hannas Tod konnte er langsam das Kapitel Hanna aus seinem Leben
versuchen zu verbannen.
Die Gründe für Michaels zweiten Besuch in dem KZ sind nicht genau zu definieren. Vielmehr spielt sein erster Besuch dort eine viel größere Rolle während seines Besuchs als sein eigentlicher Besuch. Er kennt schon alles und erinnert sich immer nur zurück oder illusioniert die grausame Wahrheit durch vermeintlich schöne Träumereien. Vielleicht sucht er nach weiteren Antworten, die ihm sein erster Besuch nicht gegeben hat, doch er findet keine. Ich denke, dass Michael sich damit versucht, in die Rolle von Hanna zu begeben, doch es gelingt ihm nicht. Er hat die NS-Zeit nicht miterlebt, wodurch ihm auch das Wissen fehlt, wie die Abläufe damals waren. Und zum anderen kann er sich auch nicht in Hanna hineinversetzen, weil er kein Analphabet ist und somit in keinster Weise nachvollziehen kann, wie sich das Leben für einen solchen Menschen anfühlt.
Meiner Meinung nach war sein zweiter Besuch nur dazu da, um alte Erinnerungen wieder aufleben
zu lassen.

Wie findet ihr die Interpretation?
War der Vorwurf gerechtfertigt?


11 Kommentare:

  1. echt hammer toll geschirben du hast deone 1 auf jedenfall verdient
    click to see my blog

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  2. "keine Zensur für meine Interpretation und mir wurde Betrug vorgeworfen" Das finde ich schon derbe

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    1. das war auch echt derbe für mich..
      ich hab gedacht, ich wär im falschen film...

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  3. Einige Menschen kommen einfach nicht so gut damit zurecht, wenn andere Menschen Talent besitzen und das hast du! Ich hoffe mehr solcher Beiträge zulesen und vielleicht hast du ja auch anregungen für meinen Blog!
    Das Schreiben liegt dir in jedem Fall!!! Und du solltest unbedingt weitermachen!

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  4. ach der film war so wunderbar. das ist eine schöne interpretation!

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    1. danke! :)
      leider haben im film einige szenen gefehlt, die bildlich echt schön zu sehen gewesen wären..

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  5. Sehr gut geschrieben!
    Ich habe in meinem Forum auch schon jemanden gehabt, der das Buch vorgestellt hat: http://39410.dynamicboard.de/t5852f70-Bernhard-Schlink-Der-Vorleser.html und irgendwo auch den Film, nur dass ich den Post aus irgendeinem Grunde nicht finde.
    Das Buch wird sehr kontrovers diskutiert - manche lieben es, andere hassen es wie die Pest und können nichts damit anfangen.

    Dass man dir Betrug vorgeworfen hat frei nach dem Motto "Die ist doch viel zu blöd, um das selbst hinzubekommen" finde ich einfach nur selten dreist seitens der Lehrerin! Lass dich davon nicht unterkriegen, ich finde deine Interpretation sehr interessant, auch wenn ich einige Zeilen (ohne das Buch gelesen zu haben) teilweise anders interpretiert hätte als du.
    Aber vermutlich hätte jeder einzelne Mensch seine eigenen Gedanken zu jeder einzelnen Textstelle, da jeder Leser anders empfindet.

    Wenn sich fünf Menschen über ein Buch unterhalten, dann hat man bald das Gefühl, jeder hätte was anderes gelesen.

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  6. Ich sag es auch gerne noch einmal!
    Schreiben ist dein Ding! Auch beim zweiten Lesen fand ich es super! Und es wird nicht das letzte mal sein! ;)

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  7. oah, ich finds echt krass von deiner lehrerin dir das vorzuwerfen. vor allem, weil sie ja keine beweise hatte!

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  8. Solche Lehrer hasse ich wirklich sehr. Hast du super gemacht!

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