[Interpretation] "Der Vorleser" Episodeninterpretation Pt. 2

Ronja Redfox | 06 Januar 2013 | / / / |
  
Hallo ihr Lieben!

Nochmal eine Interpretation... (jaja *gäähn*)
Das war meine Klausur, das heißt, ich musste mir in begrenzter Zeit was Gutes aus den Fingern saugen...
Ich persönlich finde, sie hätte besser sein können, aber dann hätt ich weitere 2 Stunden Zeit gebraucht...

Aber mich interessiert eure Meinung!
Wie findet ihr die Interpretation?

Der Vorleser - Episodeninterpretation (Kapitel 13 S. 140-143)

Bernhard Schlink, der früher Rechtswissenschaften studierte und zeitweilig als Richter und sogar Verfassungsrichter amtierte, schrieb mit dem „Vorleser“ seinen ersten Nicht-Kriminalroman, der bereits in 39 Sprachen übersetzt wurde.
Der Roman handelt von dem 15-jährigen Michael Berg, der aufgrund eines Zufalls oder vielmehr einer Krankheit auf Hanna Schmitz trifft. Michael hatte sich damals in einem Innenhof übergeben, als Hanna Schmitz ihm half. Nach seiner Genesung machte er sich auf den Weg zu ihr, um sich bei ihr für ihre Hilfe zu bedanken. Er besuchte sie öfter und es entflammte eine erotische Liebschaft. Diese Liebschaft hielt nur einen Sommer, denn an einem Sommertag war Hanna einfach verschwunden. Später sah Michael sie während eines Gerichtsprozesses in seiner Studienzeit als angeklagte wieder.
Dort erfuhr er von Hannas fürchterlicher, dunkler Vergangenheit und sein Bild von ihr wurde damit völlig verzerrt.
In der mir vorliegenden Episode zeigte sich sehr deutlich, dass Michael nicht wusste, welche Hanna nun die wahre Hanna war, was er damit zu erklären versuchte, dass seine Phantasiebilder reine Klischees wären.
Michael wollte die zwei Wochen, in denen das Gericht nach Israel geflogen war, ganz seinem Studium widmen. Doch diesen Plan hatte er ohne die Zustimmung seiner Phantasie gemacht, denn die ließ ihn nicht dazu kommen. Stattdessen malte die Phantasie in seinem Kopf düstere Bilder von Hanna. „Ich sah Hanna bei der brennenden Kirche, mit hartem Gesicht, schwarzer Uniform und Reitpeitsche.“ (vgl. Z. 9f) Das harte Gesicht und die Reitpeitsche waren verdüsternde Symbole, die Hanna zu einer boshaften Frau machen sollten und die schwarze Uniform rundete das Bild einer so bösartigen Frau ab. „Sie tut alles mit demselben harten Gesicht, mit kalten Augen und schmalem Mund...“ (vgl. Z. 18f) Es machte den Anschein, als hätte Hanna keinerlei Gefühlsregung, weder innerlich noch äußerlich. Kalte Augen erwecken den Eindruck, als wären es tote Augen. Natürlich nur sinnbildlich gesprochen, aber dennoch mit einem Hauch Wahrheit. Hanna war wie tot, schließlich musste sie Häftlinge aussortieren, damit das Lager nicht überfüllt wurde, was aber nicht der einzige Grund dafür ist. Immer nur streng über einem Menschen zu stehen, der eigentlich nicht anders ist, als man selbst, ständig herumzukommandieren und bei Nichtbeachtung irgendwelcher Regeln diesen Menschen womöglich auspeitschen zu müssen, macht einen müde und leer und führte somit wahrscheinlich dazu, dass Hannas Augen kalt und ohne jegliche Anzeichen von Gefühlen innerlich wirkten. Doch Hanna wirkte nicht nur kalt, sondern sie besaß ein hohes Maß an Autorität, denn „...die Häftlinge ducken sich, beugen sich über die Arbeit, drücken sich an die Wand, in die Wand, wollen an der Wand verschwinden.“ (vgl. Z. 19f) Dass die Häftlinge sich ducken und über die Arbeit beugen, ist ein Indiz dafür, dass die Häftlinge Respekt und vielmehr noch Angst vor ihr hatten. Lieber wandten sie den Blick von ihr ab, um nicht in ihre kalten Augen sehen zu müssen, um einer Strafe, die vielleicht aus einer Laune heraus entstanden wäre, zu entgehen. In Michaels Phantasie ist Hanna aber nicht nur kalt und autoritär, sondern sie „steht dazwischen und schreit Kommandos, das schreiende Gesicht eine hässlich Fratze, und hilft mit der Reitpeitsche nach.“ (vgl. Z. 22f) Der Vergleich des schreienden Gesichts mit einer hässlichen Fratze, nahm ihr in Michaels Gedankenwelt jegliche Schönheit, die sie früher einst besaß. Aber seit dem Prozess hatte Hanna alles verloren, was Michael jemals an ihr geliebt hatte. Sie war zu einem düsteren Monster geworden, dass das Leben von hunderten Menschen auf ihren Schultern als Bürde zu tragen hatte. Denn sie war schuldig. Schuldig für den Mord an hunderten von Frauen, weil sie die Tür der Kirche nicht aufgeschlossen hatte. Doch zwischen all diesen düsteren Bildern der bösen Hanna, kamen auch auch die schönen Bilder Hannas zum Vorschein. „Hanna, die in der Küche die Strümpfe anzieht, die vor der Badewanne das Frottiertuch hält, die mit wehendem Rock auf dem Fahrrad fährt, die im Arbeitszimmer meines Vaters steht, die vor dem Spiegel tanzt, die im Schwimmbad zu mir herüber schaut, Hanna, die mir zuhört, die zu mir redet, die mich anlacht, die mich liebt.“ (vgl. Z. 26ff) Es waren viele Bilder, die Michael an die schöne Zeit mit Hanna erinnerten. Doch die meisten Bilder sind nur kurze Sequenzen, die in der gemeinsamen Zeit mit Hanna passierten. Jedoch werden diese schönen Bilder an Hanna jäh zerstört, wenn sie sich mit den Bildern von Hannas düsterer Seite vermischten. „Hanna, die mich mit kalten Augen und schmalem Mund liebt, die mir wortlos beim Vorlesen zuhört und am Ende mit der Hand gegen die Wand schlägt, die zu mir redet und deren Gesicht zur Fratze wird.“ (vgl. Z. 31ff) Hier wird deutlich, dass Michael mit den Fragen der Schuld und der Unschuld kämpft. Kann seine geliebte Hanna wirklich so ein gefühlskaltes, eisiges Biest sein, das es einfach so hinnahm, dass hunderte Frauen in einem Feuer sterben, nur damit kein Chaos entsteht, wenn sie die Türen geöffnet hätten? Und wenn ja, wie konnte sie die ganze Zeit diese eisige Maske verstecken? War sie so ein durchtriebenes Luder, das Michael die ganze Zeit nur an der Nase herumgeführt hatte?
Keiner weiß so genau, was damals im KZ und später während der Beziehung mit Michael in ihr vorgegangen ist. Doch Hanna hatte die ganze Zeit über ein Geheimnis in sich getragen, das sie um keinen Preis der Welt öffentlich machen wollte. Michael fehlte damals die nötige Erkenntnis, um Hanna verstehen zu können. Doch später erkannte er sie und wusste dann endlich, warum Hanna so war, wie sie war. Durch diese Erkenntnis stand natürlich auch die Schuldfrage in einem völlig neuen Licht, aber darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen. Was Michael aber wohl am meisten verstörte, „waren die Träume, in denen mich die harte, herrische, grausame Hanna sexuell erregte und von denen ich in Sehnsucht, Scham und Empörung aufwachte.“ (vgl. Z. 33ff) Warum wachte er in Sehnsucht auf? Er sehnte sich nach dem Sex mit Hanna, da sie die Frau war, die ihm gelehrt hatte, wie man mit Frauen umzugehen hat. Aber er sehnte sich auch nach Hanna, weil er die Trennung nie richtig verarbeitet hat. Mit Scham und Empörung ist er aufgewacht, weil er sich auf der einen Seite vor sich selbst schämte, weil er diese herrische, übermächtige Hanna sexuell anziehend fand, zum anderen aber auch empört über sich selbst, wie er so etwas anziehend finden konnte. „Ich wusste, dass die phantasierten Bilder armselige Klischees waren. Sie wurden der Hanna, die ich erlebt hatte und erlebte, nicht gerecht. Gleichwohl waren sie von großer Kraft. Sie zersetzten die erinnerten Bilder von Hanna und verbanden sich mit den Bildern vom Lager, die ich im Kopf hatte.“ (vgl. Z. 36ff) Es macht den Eindruck, als suche Michael in den klischeehaften Bildern eine Entschuldigung dafür, dass seine Phantasie so merkwürdige, seltsame und schaurige Bilder entwarf. Doch wenn er sich entschuldigen wollte, dann bleibt doch die Frage: bei wem? Eigentlich könnte er sich nur bei sich selbst entschuldigen. Dafür, dass er zuließ, dass in seinem Kopf so abstrakte Bilder möglich waren. Oder dafür, dass er Hanna zu einem grausamen Menschen verurteilte, obwohl er ihre Gründe zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht kannte.
Meiner Meinung nach lässt sich Michael sehr von seiner Phantasie leiten. Das führt dazu, dass er sich vorschnell ein Urteil bildet, wobei ihm das nötige Wissen für eine Verurteilung fehlt. In dieser Episode hat Schlink viel Wert darauf gelegt, sämtliche Details in die „Hände“ der Bilder zu legen. Das bedeutet, dass er den Bildern, die in Michaels Phantasie umher gehen, soviel Aussagekraft gegeben hat, obwohl er sie nur spärlich und einfach beschrieben hat. Diese Episode kann man aus so vielen Blickwinkeln betrachten, dass noch Platz für viele weitere Deutungen offen bleibt.



2 Kommentare:

  1. Ich finde du hast die Interpretation toll geschrieben, ich selbst habe das Buch nicht gelesen, sondern nur den Film geschaut... Aber das Buch klingt auch interessant :o Werde ich mir vielleicht mal vornehmen. Wirklich tolle Interpretation! Du kannst gut schreiben :)

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  2. Hey du Liebe

    Hast du mein Gewinnspiel schon gesehen? Vielleicht machst du ja mit oder vielleicht machst du sogar ein wenig Werbung dafür. Hier ist auf jeden Fall der Link dazu: http://samtpfotenmitkrallen.blogspot.ch/2013/01/wer-will-dieses-buch.html

    Auf jeden Fall ganz liebe Grüsse und ein schönes Wochenende
    Eponine

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